Spektakulärer Neubau 1929
In wenigen Jahren wird das Mehrzweckgebäude am Salvus-Stadion hundert Jahre alt. Trotz wiederkehrender Debatten um seine Zukunft hält es deutlich länger als die Weimarer Verfassung, zu deren zehntem Jubiläum es einst eingeweiht wurde. In seiner Anfangszeit war es unter der Bezeichnung „Sportheim“ bekannt und ein Objekt des Stolzes. Immerhin hatte es 92.326 Reichsmark gekostet. „Zur Verfügung standen 78.800 Mark, sodaß 14.000 Mark mehr ausgegeben sind. Die obere Etage ist weiter ausgebaut worden, die Badegelegenheit ist vergrößert und verschönert, desgleichen die Heizung. Materialien haben sich verteuert, Löhne sind gestiegen, sodaß die Mehrausgaben verständlich erscheinen.“
Zum Zeitpunkt seiner Eröffnung im Sommer 1929 schrieb jemand, der es besichtigen konnte, in der Emsdettener Volkszeitung: „Große, aus Kunstgranitsteinen hergestellte Podestfreitreppen führen in das Innere und auf die Veranda. Diese letztere ist 100 qm groß und bietet ca. 110 Personen Sitzgelegenheit.. Im Kellergeschoß befinden sich für Frauen und Männer getrennt Umkleideräume, Wannen- und Brausebäder und Klosettanlagen. Soweit nur irgend möglich, sind in den verhältnismäßig dicken Kellermauern Wandschränke für die Sporttreibenden eingebaut. Außerdem ist im Kellergeschoß ein Heizkeller mit kombinierter Heizungsanlage angelegt. Es ist ein größerer Heizkessel für die Beheizung sämtlicher Räume in allen vier Geschossen und zur Speisung der Badeeinrichtung während der kalten Jahreszeit, und außerdem ist noch ein kleinerer Heizkessel für die Warmwasserbereitung für den Badebetrieb in den Sommermonaten vorhanden.
Im Erdgeschoß befindet sich eine große Wirtschaftsküche und drei für den Betrieb eingerichtete und untereinander verbundene Gastzimmer, die für etwa 140 Personen Sitzgelegenheit bieten. Von diesen Räumen hat man ähnlich wie von der Terrasse eine herrliche Aussicht über den gesamten 32 Morgen großen Sportplatz. Im ersten Obergeschoß befindet sich das Preisrichterzimmer, ferner gibt es zwei Wirtschaftsräume, die besonders als Kaffeezimmer für die Damen gedacht sind. Außerdem befindet sich in diesem Geschoß die Wohnung des Kastellan. Das zweite Obergeschoß ist ebenfalls als Wohnung voll ausgebaut.“
Gesucht: Verantwortliche für das Gebäude
Doch wie nutzt man ein so großes Gebäude am Besten? Schon zu Beginn des Sommers war die Stelle eines „Kastellans“ ausgeschrieben worden. Das war eine Mischung aus Hausmeister und Wirt, oder genauer gesagt: Wie bereits zwanzig Jahre früher im Kolpinghaus war es eine Tätigkeit, die ein Ehepaar gemeinsam auszufüllen hatte. Der klangvolle Titel wie das Gehalt gingen dabei merkwürdiger Weise immer an den Ehemann. Ein (anonymer) Kommentator beschrieb am 6. Juli 1929 das Aufgabenspektrum wie folgt:
„Ein begehrenswerter Posten scheint die vor kurzem ausgeschriebene Kastellanstelle für das Sportheim und das Stadion am Grevener Damm zu sein. Nicht weniger als 80 Bewerber haben ihre Gesuche eingereicht. Die Turn- und Sportvereine haben ihre diesbezüglichen. Wünsche dahin geäußert, daß nur solch ein Mann den Posten bekleiden solle, der mit dem Sport verwachsen sei. Wir halten diese Stellungnahme für einseitig. Auf den Platz gehört ein Mann, der die Gewähr dafür bietet, daß die Anlage anfängt, sich zu verzinsen. er hat die Plätze instand zu halten. Er hat die Brausen- und Wannenbäder zu bedienen. er hat ›die Auskleide- und Geräteräume zu betreuen. Er soll das Haus in Ordnung halten, daß man gern hingeht. Er muß es verstehen, durch saubere und freundliche Bedienung sich eine Kundschaft zu erziehen. Man sollte nicht außer acht lassen, daß an Spieltagen der Kastellan keine Zeit hat, den Vorgängen auf dem grünen Rasen zuzuschauen. Uns liegt nichts ferner als für oder gegen irgend eine Kandidatur Stellung zu nehmen. Nebenbei bemerkt sei eines nicht vergessen, daß bei der Führung eines Wirtschaftsbetriebes die Eignung der Frau eine ganz außerordentliche Rolle spielt, wenn nicht gar die Entscheidende.“
Den Zuschlag erhielten Viktor Ströhmer und seine Frau Helene, geborene Wähning.
Zur Debatte von 1930
Nun konnten die sportbegeisterten Emsdettener beginnen, das Gebäude zu nutzen. Für die Gemeinde als Betreiber waren diejenigen am wichtigsten, die Billets für die Nutzung Wannen- und Brausebäder erstanden. Diese standen nicht nur den Nutzern des Sportgeländes offen, sondern auch allen anderen Interessierten zu einer Zeit, wo Badezimmer noch eine seltene Ausnahme waren. Außerdem sollten Mieteinnahmen aus den Wohnungen erzielt werden. Die Einnahmen konnten allerdings die Kosten nicht aufwiegen.
Ein Leserbriefschreiber zog am 2. Februar 1930 Bilanz aus den Erfahrungen der ersten Monate und stieß damit eine lebhafte Diskussion auf den Seiten der Emsdettener Volkszeitung an. Es sollte zumindest medial die intensivste Debatte der frühen 1930er Jahre in Emsdetten sein. Der letzte Beitrag dazu erschien am 10. April 1930. Im Folgenden versuche ich im Interesse der Übersichtlichkeit, die Argumente der extrem langen Leserbriefe in eine inhaltliche Ordnung zu bringen. Dafür zerstückele ich die ursprünglichen Texte und füge sie als eine Art Collage wieder zusammen. Die „Namen“ der Beteiligten stammen teilweise aus den damaligen Artikeln selbst, oder sind in analoger Weise dazu gebildet worden. Es war in dieser Zeit unüblich, dass Leserbriefe mit Klarnamen unterzeichnet waren. Die Redaktion der Emsdettener Volkszeitung nahm für sich in Anspruch, sie zu kennen, begnügte sich bei Veröffentlichung jedoch meist mit einem Pseudonym oder einem dem Namen entnommenen Buchstaben.
Die Argumente
Heimatfreund: Daß die Einnahmen kaum die laufenden Unkosten decken, ist leider Tatsache. Will man diesen Gesichtspunkt in den Vordergrund rücken, dann ist nur eine Möglichkeit vorhanden [das Sportheim rentabel zu machen ], nämlich dem Sportheim volle Schank-Konzession zu geben.
Idealist: „Unser Sportheim soll dem Sport, der Jugendpflege hier am Ort dienen. Es hilft als solches, erzieherische Aufgaben an der heranwachsenden Jugend mitzuerfüllen. Von diesem Grundgedanken aus ist es völlig abwegig, den Gesichtspunkt der Rentabilität des Sportheims in den Vordergrund zu rücken. Kulturelle Neuschöpfungen vermögen sich niemals sofort oder auch in kurzer Zeit zu rentieren.
Ein Sportler: Hier stoßen sich Ideal und Wirklichkeit. Ideal wäre, wenn jede Gemeinde Mittel für kulturelle Zwecke hinreichend zur Verfügung hätte und jedes Jahr Tausende dafür verwenden könnte. Sie sind leider nicht da. Deswegen bleibt schon manches liegen.
Idealist: Gerade die Erfassung der heranwachsenden Jugend ist unter den ganz veränderten sozialen Verhältnissen der Nachkriegszeit eine der vordringlichsten Aufgaben. Ohne finanzielle Opfer von Seiten dieser Körperschaften läßt sich dieses natürlich nicht erreichen. So bin ich davon überzeugt, daß die öffentlich Meinung Emsdettens eher für ein Sportheim ohne Konzession zu gewinnen ist als für ein Sportheim mit Konzession, zu dem dann leicht noch all die unerwünschten Nebenerscheinungen treten können, die die einsame Lage des Sportheims begünstigt.
Heimatfreund: Man sollte jedoch nicht vergessen, daß der Ausschank alkoholhaltiger Getränke nicht für die Sportler, sondern für Zuschauer und sonstige Gäste gedacht ist. Jeder Sportler weiß, daß jeglicher Alkoholgenuß seine sportliche Leitungsfähigkeit beeinträchtigt. Wer jedoch das nicht will oder nicht fertig bringt, verzehrt in jedem anderen Lokal nicht mehr und nicht weniger als im Sportheim.
Ein Sportler: Für das Sportheim ist sehr viel Geld ausgegeben worden. Es wäre geradezu unverantwortlich, wenn man nicht sorgen wollte, daß die jährlichen Zuschüsse jetzt nicht ständig geringer werden. Das würde durch eine Schank-Konzession erreicht. Ohne übertreiben zu wollen, wird man doch ruhig behaupten dürfen, daß von 10 Wirtshausbesuchern höchstens einer Wasser trinkt. Der Kundenkreis würde sich also ganz automatisch vervielfachen. Und wo die nächste Wirtschaft rund 12 Minuten entfernt ist, wird man die Bedürfnisfrage nicht ohne weiteres verneinen dürfen, zumal bei den sonntäglichen Spielen durchschnittlich 5-600 Erwachsene auf dem Platz sind.
Idealist: Das Wirtegewerbe ist ein Gewerbe, das um seine Existenz ebenso ringt wie alle anderen Gewerbe. Die Öffentlichkeit hat aber Interesse daran, daß dem Wirtestand nicht immer wieder neue Konkurrenz erwächst, während alle Wirte sich bemühen werden, ihre Existenzgrundlage zu erhalten. Das aber ist nur möglich durch gesteigerten Alkoholkonsum. Dieser aber bedeutet neues Elend in der Familie, neue Fürsorgelasten für die Gemeinde.
Ein Sportler: Es sei zugegeben, daß auch das Wirtegewerbe nicht auf Rosen gebettet ist. Aber man bleibe doch objektiv. In 30 Jahren, wo die Bevölkerung Emsdettens sich verdoppelt hat, ist das Wirtegewerbe konstant geblieben. Wo ist da die „immer wieder neue Konkurrenz des Wirtestandes“? Tatsache ist, daß in Emsdetten der Prozentsatz der Wirtschaften kleiner ist als der Durchschnitt in Reich und Staat, in Provinz und Kreis.
Heimatfreund: Als bekannt dürfte vorausgesetzt werden, daß laut Verbandssatzungen jedem Jugendlichen unter 18 Jahren Alkohol und Nikotin streng verboten sind.
Idealist: Andererseits lassen Beobachtungen, die man öfters Sonntags nach der Spielzeit am Bahnhof machen kann, es als wahrscheinlich erscheinen, daß auch die Sportler Gebrauch davon machen würden. Man sollte es gerade diesen jungen Leuten, die durch ihr Verhalten sicher nicht für wahren, echten Sport werben, nicht so leicht machen.
Ein Sportler: Es taucht hier jedoch eine andere Frage auf: Man darf annehmen, daß nach dem Spiel die Sportler einer Mannschaft bzw. der verschiedenen Mannschaften im Heim vorerst zusammenbleiben würden. Dann sind Begleiter und Vorstandsmitglieder dabei. Die kennen ihre Jugendlichen und würden sich ihrer annehmen. Auch manche Familie würde sich dann auf dem Stadion eher einfinden, und nach dem Sport ihren Sohn mit heimnehmen können.
Heimatfreund: Erfreulich ist, daß der Badebetrieb auf dem Sportheim ständig größer wird, was bei den außerordentlich billigen Preisen wohl zu verstehen ist. Um auch den Schulkindern das Baden noch mehr zu erleichtern, sind jetzt für die Mädchen Badeanzüge und für die Knaben Badehosen bestellt worden, die den Schulkindern demnächst unentgeltlich zur Verfügung stehen. Man sollte meinen, daß die 10 Pfennig für ein Brausebad dann wohl aufzubringen wären, vor allem, wenn man bedenkt, welch große gesundheitliche Vorteile für die Kinder daraus erwachsen.
R.: Diese Badeanlage dürfte von Interesse sein. Überall, auch hier, finden wir Menschen, die Kneipps Methode schätzen und lieben gelernt haben. Daß die Badeanlage hierzu passend ist, ist jedem klar. Die finanzielle Lage des Sportheimes würde sich erheblich bessern, da man hier bei eventueller Gründung am Platze einen interkonfessionellen Verein bilden müßte. Soviel bekannt ist, wird gänzliche Abstinenz nicht gefordert.
Skeptiker: Es ist gut, und ich finde es auch verständlich, wenn der Schreiber es als seine Pflicht betrachtet, sich für das Sportheim einzusetzen, weil auch einer guten Benutzung der Badeanlage das Wort zu reden. (…) Wer nun eine Kaltwasserkur nach Kneipp’scher Methode anwenden will, mag das ja nach Herzenslust tun. Doch Vorsicht! Aber wie der angebliche Kneipp-Jünger meint, dazu wieder einen neuen Verein zu gründen, halte ich doch bestimmt für verfehlt. (…) Einen interkonfessionellen Verein wollen sie gründen? – Im allgemeinen spricht man doch nicht von katholischen oder protestantischen Kaltwasserkuren. – Oder ist das Sportheim nicht interkonfessionell?
R.: Wenn sie sich nur ein wenig mit dem Charakter, dem Wesen des Kneipp-Bundes beschäftigt hätten, würde es Ihnen keineswegs befremdend vorkommen zu hören, daß Abstinenz mit ihm innig verbunden ist, ja selbst Kreuzbündler zu seinen Mitgliedern zählen.
R.: Da das Sportheim mit seiner Badeanlage einer Kneipp-Kuranstalt vollkommen entspricht, würde es sich so ebensogut rentieren als mit Konzession. Denn die Mitglieder des Kneipp-Vereins sorgen schon für den Bestand der Anstalt.
Ein Sportfreund: „Ich möchte in diesem Zusammenhang einen anderen Gedanken erwähnen. Es scheint mir nicht recht zu sein, daß für die Fensterplätze im Sportheim nichts mehr zu entrichten ist, als für einen Stehplatz unten an der Laufbahn. Man sollte für diese Plätze ruhig einen Aufschlag von 50 Prozent nehmen. Dieser Aufschlag kommt zu gleichen Teilen dem Kastellan und der Gemeinde zugute. Wer also einen Fensterplatz wünscht, hat im Sportheim eine zweite Karte zu lösen für 0,50 Mk. Die Vorteile, die ein derartiger Platz, namentlich in den kalten Wintermonaten mit sich bringt, werden einer großen Anzahl Sportfreunden wohl 50 Pfennig wert sein.
Idealist: Wenn der Verfasser davon spricht, daß der Alkoholausschank nur für Gäste und Zuschauer bestimmt sein soll, so erfüllte eine besondere Erlaubnis für größere sportliche Veranstaltungen ganz genau denselben Zweck.
Die Praxis
Unterdessen schuf die Gemeinde Fakten. Am 21. März 1930 hieß es: „Der Pächter des Sportheims auf dem Stadion hat für kommenden Sonntag, wo das mit Spannung erwartete Spiel Union Burgsteinfurt gegen Spielverein Emsdetten stattfindet, von der hiesigen Polizeibehörde Konzession zum Ausschank von Bier erhalten. Diese Erlaubnis dürfte in weiten Kreisen lebhaft begrüßt werden.“
Im April tat die Gemeine eine weitere Einnahmequelle auf: „Fahrräder müssen in Zukunft bei größeren Veranstaltungen sofort am Fahrradstand neben dem Eingang gegen eine Gebühr von 10 Pfg. abgegeben werden. Aufenthalt in den Zimmern der erste Etage des Heims bei Spielen und sonstigen größeren Veranstaltungen kostet eine Extra-Gebühr von 50 Pfennig.“
All diesen Bemühungen um Verbesserung der Einnahmen stand aber auch eine Verbesserung des Service gegenüber: „Für eine noch bessere Ausgestaltung des Badebetriebes sollen ein Dutzend Holzpantinen gekauft werden und außerdem eine besondere Fußbad-Einrichtung angelegt werden.“
Und wie stand es um den Alkoholkonsum der Emsdettener?„Im ersten Halbjahr 1930 betrug der Bierkonsum in Emsdetten 2772 Hektoliter. Er ist gegenüber dem Vorjahr vermutlich zurückgegangen, was sich aus der Verschlechterung der Arbeitsmarktlage wohl erklären läßt. Bei einer Bevölkerung von 16.000 Seelen entfallen also auf jeden Einwohner pro Halbjahr ungefähr 18 Liter Bier, sodaß Emsdetten hinter dem Reichsdurchschnitt (45l) doch erheblich zurückbleibt.“ Diese zeitgenössische Analyse beschränkte sich allerdings wegen der Pläne, eine Biersteuer einzuführen, ausschließlich auf dieses Getränk. Wenn die Erzählungen zutreffen, dass die damaligen Emsdettener einen deutlich höheren Teil ihres Alkohols in Form von Schnaps zu sich nahmen, relativiert sich das Bild vom enthaltsamen Emsdettener.
Das Sportheim mit seinen verschiedenen Funktionen wurde in den Jahren der Weltwirtschaftskrise weniger genutzt, was die Finanzierungsprobleme verschärfte. Statt dessen zog dort in den Krisenjahren die Auszahlungsstelle des Arbeitsamtes ein.
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